Violeta by Isabel Allende

Violeta by Isabel Allende

Autor:Isabel Allende [Allende, Isabel]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2022-07-17T22:00:00+00:00


DRITTER TEIL

Die Abwesenden

1960-1983

14

Wenn ich meine Vergangenheit anschaue, wird mir klar, dass ich Nieves viel früher verloren habe, als ich dachte. Meine Tochter war vierzehn, als Julián entschied, sie solle statt der obligatorischen Sommerwochen auf Santa Clara ihre Ferien bei ihm verbringen, nur sie beide, eine Art Flitterwochen von Vater und Tochter. Er hatte die Versuche aufgegeben, aus Juan Martín »einen Mann« zu machen, also einen Mann nach seinem Ebenbild. Sein Sohn war ein linkischer jugendlicher Romantiker, der offensichtlich lieber Albert Camus und Franz Kafka las als die Playboy-Hefte, die sein Vater aus Miami mitbrachte, und der mit einer Handvoll ähnlich grüblerischer Freunde über Marxismus diskutierte, statt irgendwo in einem stillen Winkel die Freundinnen seiner Schwester zu befummeln.

In den darauffolgenden Jahren nahm Julián unsere Tochter mit auf Reisen, brachte ihr Autofahren bei und machte sie zu seiner Copilotin. Nachdem er sie dabei ertappt hatte, wie sie rauchte und die Reste aus den Cocktailgläsern trank, versorgte er sie mit Mentholzigaretten und unterwies sie darin, sich beim Trinken zu mäßigen, obwohl er es selbst oft dabei übertrieb. Sehr früh trug Nieves aufreizende Sachen und machte sich wie ein Model zurecht, um mit ihrem Vater in Nachtclubs und Casinos zu posieren, wo sie gemeinsam am Spieltisch saßen, ohne dass jemand geahnt hätte, wie jung sie war. Sie machten sich einen Spaß daraus, dass Nieves für Juliáns neueste Eroberung gehalten wurde. Die Verbrennungen, die sie als Kind erlitten hatte, waren vermutlich dank Yaimas Behandlung nahezu folgenlos abgeheilt. Ihre Schönheit brachte laut Julián den Autoverkehr zum Stehen. Mit achtzehn sang sie beliebte Lieder in Hotels und Casinos, wo die Gäste ihr zu Juliáns Amüsement Trinkgeld zusteckten. Ihm gefiel das Spiel, mit seiner Tochter auf die Entfernung Begehrlichkeiten bei anderen Männern zu wecken, aber jeder junge Mann, der sich ihr zu nähern versuchte, wurde in die Flucht geschlagen. »So kriege ich nie einen Freund, Papa«, beschwerte sich Nieves. »Das ist auch das Letzte, was du in deinem Alter brauchst. Nur über meine Leiche«, sagte er. Er war eifersüchtig wie ein Liebhaber.

Ich lebte damals zusammen mit Juan Martín in der Hauptstadt, wo er Geschichte und Philosophie studierte. In den Augen seines Vaters war das Zeitverschwendung, zu nichts zu gebrauchen. Weil die Uni in der Hauptstadt war, hatte ich dort eine Wohnung gemietet, die wir uns teilten, aber wir sahen uns selten. Ich verbrachte weiterhin viel Zeit in Sacramento und reiste häufig in die USA, um Nieves zu sehen. Mein Sohn war über lange Strecken allein.

Meine Ehe wurde aufgehoben, als ich das schon gar nicht mehr wollte. Ich hatte die Vorteile meiner Lage zu nutzen gelernt, genoss in allen Bereichen des praktischen Lebens meine Freiheit und konnte zur Befriedigung meiner Leidenschaft auf einen ungestümen Mann zurückgreifen, der mich auch nach so vielen Jahren eingefahrener Gewohnheiten, unvermeidlicher Komplizenschaft und angehäuften Grolls noch mit Küssen bezwingen konnte. Wie lang einen das Begehren doch knechtet! Das habe ich am demütigendsten um die Mitte meines Lebens empfunden, als der Frau im Spiegel ihre fünfzig Jahre Kampf und Müdigkeit an Körper und Seele anzusehen waren.



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